“Einzelne Bäume reichen nicht. Wir brauchen durchgängige Beschattung”
Leopoldstadt und Brigittenau sind besonders dicht bebaut und leiden daher besonders stark unter den immer längeren Hitzeperioden. Der Klimatologe Simon Tschannett zeigt Lösungen. Doch was will die Lokalpolitik?
Text: Naz Küçüktekin

In der Leopoldstadt wohnen etwa 104.000 Menschen auf knapp 20 Quadratkilometern. In der Brigittenau sind es rund 86.000 – auf gerade einmal sechs Quadratkilometern: Wiens am dichtesten besiedelter Bezirk. Beide Bezirke bestehen zum Großteil aus Mehrfamilienhäusern – und der Energieverbrauch ist entsprechend hoch: 750 Gigawattstunden im 2. Bezirk, so viel Strom verbaucht in etwa auch ganz Linz. Noch immer wird ein Großteil der Gebäude mit Gas beheizt. So zeigen es aktuelle Zahlen der Stadt Wien.
Etwas besser sieht es beim Verkehr aus. Laut Modal-Split-Daten, die für beide Bezirke fast ident sind, werden 41,5 Prozent der Wege zu Fuß, rund 14 Prozent mit dem Rad zurückgelegt, und nur 13,7 Prozent entfallen auf den Autoverkehr. Zum Vergleich: Im Wiener Schnitt liegt der Autoanteil bei 25 Prozent. Laut Klimafahrplan der Stadt soll der motorisierte Individualverkehr bis 2025 auf 20 Prozent, bis 2030 auf 15 Prozent sinken – Zwischenbrücken ist also eigentlich schon da.
Verbesserte Luftqualität – aber kaum Abkühlung
Trotzdem sieht Simon Tschannett, Stadtklimatologe und Geschäftsführer von Weatherpark, noch Luft nach oben: „Wenn wir aktive Mobilität stärken wollen, müssen die Wege durchgehend beschattet sein – vor allem dort, wo man steht, etwa an Ampeln oder Haltestellen.“
Denn zur Mobilitätswende kommen noch ein paar Baustellen dazu: Hitzebelastung, schlechte Durchlüftung, fehlende kühle Räume und soziale Gerechtigkeit. Gerade in Zwischenbrücken sei die lokale Überwärmung besonders stark, sagt Tschannett. Zwar bringen der Prater und der Augarten kühle Luft in die Stadt, aber die erreicht die dichten Grätzl kaum. „Die Kaltluft aus dem Augarten wirkt nur dutzend oder hundert Meter über seine Grenzen hinaus“, so Tschannett. Frische Luft, die über die Donauachse kommt, verbessert zwar die Luftqualität – bringt aber an heißen Tagen kaum Abkühlung.

Besonders deutlich wird das auf den Hitzekarten, wo sogenannte Hitzeinseln sichtbar werden: Viele Bereiche der Brigittenau zählen zu den am stärksten überhitzten in Wien. Hier müsste die Politik also eigentlich gezielt ansetzen.
Ein Beispiel für punktuelle Begrünung ist die Treustraße in der Brigittenau. Sie wurde auf einem hundert Meter langen Stück verkehrsberuhigt, hell gepflastert und mit 16 Bäumen aufgeforstet. Eine gute Maßnahme – aber aus Tschannetts Sicht nicht genug: „Das ist ein Anfang. Aber einzelne Baumreihen reichen nicht. Wir brauchen durchgängige Beschattung und Begrünung.“ In der angrenzenden Wallensteinstraße vermisst man beides. Die Umgestaltung dieser wichtigen Geschäftsstraße mit mehr Grün und weniger Raum für den Verkehr wird seit Jahren geplant. Die Umsetzung wird aber immer wieder verschoben (Zwischenbrücken berichtete).
Dauerhafter Schatten? Nur, wenn sich die Baumkronen berühren
Besonders wichtig sei laut Tschannett auch, dass sich die Baumkronen berühren – der sogenannte Kronenschluss. Nur so entsteht echter, dauerhafter Schatten. Ergänzend könnten auch technische Lösungen helfen: Sonnensegel oder kühlende Materialien zum Beispiel.
Ein besseres Beispiel ist die neugestaltete Praterstraße. Neue Bäume, kleinere Kreuzungen, breite Radwege – insgesamt ein Schritt in die richtige Richtung. Trotzdem meint Tschannett: „Man hätte die Radwege noch breiter machen können, ja müssen. Und vor allem bei den Wartebereichen für Fußgänger:innen oder Radfahrer:innen fehlt noch mehr Beschattung.“

Neben den großen grünen Flächen wie Prater, Augarten oder Donauinsel braucht es laut Tschannett vor allem eines: viele kleine, kühle Orte in Wohnungsnähe. Denn: „Wer bei 35 Grad erst ein paar hundert Meter durch aufgeheizte Straßen muss, um zum nächsten Park zu kommen, bleibt oft lieber daheim. Besonders ältere oder weniger mobile Menschen sind dann gefährdet.“
Nordwestbahnviertel: Große Pläne, viele Fragen
Ein großes Zukunftsprojekt ist das Nordwestbahnviertel: Auf dem alten ÖBB-Gelände entsteht ein neuer Stadtteil mit Wohnungen für 20.000 Menschen. Geplant ist auch ein großer Park – die „Grüne Mitte“. Das lobt Tschannett, warnt aber auch: „Solche Flächen sollten nicht unterbaut sein. Wenn darunter Tiefgaragen liegen, fehlt den Bäumen die nötige Erdschicht – und sie wachsen schlechter.“
Geplant sind auch Dach- und Fassadenbegrünungen. Aber für echte Klimaresilienz, sagt Tschannett, müsste man noch viel konsequenter denken: „Man müsste bei jeder Straße schauen, wie viel Fläche entsiegelt werden kann – und wie viel Schatten man schaffen kann.“

Sein Fazit: „Die Leopoldstadt hat mit Prater und Donauinsel einen klaren Vorteil – wichtig ist, dass möglichst viele Menschen schnell und beschattet dorthin kommen. In der Brigittenau ist die Hitzebelastung stärker. Hier brauchen wir eine systematische Entsiegelung, mehr Begrünung und bessere Beschattung – und das alles sozial durchdacht.“
Viele dieser Hebel könnte man auch auf Bezirksebene betätigen. Die Frage ist nur: Will das die Lokalpolitik?
Parteiencheck: Wer setzt auf Klima?
In der Leopoldstadt und der Brigittenau machen mehrere Parteien Umwelt- und Klimaschutz zum Thema – wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Besonders aktiv zeigen sich naturgemäß die Grünen. Aber zum Teil auch Neos und die SPÖ.
Die Leopoldstädter Grünen führen den Wahlkampf mit der Forderung nach umfassenden Entsiegelungen von Betonflächen im Nordbahnviertel und einer Begrünung der Taborstraße. Auch der stark versiegelte Taborplatz an Kreuzung Taborstraße und Nordbahnstraße sowie die anschließende Rebhanngasse sollten nach Wunsch der Grünen umgestaltet werden – mit Wasserflächen und mehr Bäumen.
Grüne wollen „Masterplan Green“
In der Brigittenau liegt der Fokus der Grünen ebenfalls auf dem Nordwestbahnhof-Areal. Sie fordern eine nachhaltige Entwicklung mit zehn Hektar „Grüner Mitte“. Punktuelle Begrünung reiche nicht – es brauche umfassende Maßnahmen gegen Hitze, Lärm und Flächenversiegelung. Mit einem “Masterplan Green” soll das Gehen gefördert werden.
Die SPÖ fährt einen pragmatischeren Kurs, integriert Klima- und Umweltaspekte aber in große Stadtentwicklungsprojekte. Ein Beispiel ist der Praterstern in der Leopoldstadt: Die Grünflächen wurden verdoppelt und ein großes Wasserspiel gebaut. Im Nordbahnviertel wurde im Wahlkampf die Entsiegelung von Betonflächen rund um den Bednar-Park angekündigt. Weitere Begrünungen und Baumpflanzungen seien geplant. In der Brigittenau setzt die SPÖ auf leistbaren Wohnraum im neuen Stadtviertel, auf “coole Straßen” und Photovoltaikanlagen auf Dächern.
Kein Klimaprogramm bei FPÖ und ÖVP
Die Neos bringen fordern in der Leopoldstadt mehr öffentliche Bereiche und Begrünung des Donauufers. In der Brigittenau sprechen sie sich für energieeffizientes Bauen, nachhaltige Mobilität und mehr Fußverkehr aus – besonders im Rahmen der Entwicklung des Nordwestbahnhofs.
Kaum eine Rolle spielen Klimaschutz und Entsiegelung für ÖVP und FPÖ. Sie setzen in beiden Bezirken andere Schwerpunkte – etwa auf Sicherheit, Bürgerbeteiligung oder Sozialpolitik. Konkrete Projekte zu Begrünung oder Hitzeschutz finden sich in ihren Programmen für die kommenden Wahlen kaum.
Wie wichtig ist euch der Klimaschutz? Wie könnte euer Grätzel kühler und grüner gemacht werden? Schreibt uns eure Meinung: https://www.zwischenbruecken.at/thema/community/der-postkasten/
Naz Küçüktekin hat journalistische Erfahrungen unter anderem bei Kurier, Profil und Biber gesammelt. Sie lebt in der Brigittenau hat mehrere Preise gewonnen, unter anderem den Wiener Journalismus-Gesundheitspreis.